Die erfundene Conquista Mexikos. Versionen und Visionen der spanischen Augenzeugen

 

Felix Hinz

Januar 2010

 

Berichte über Hernán Cortés

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Einleitung: Die Eroberung und ihre Bedeutung

Die Eroberung Mexikos durch Hernán Cortés 1519 bis 1521 ist keinesfalls eine Marginalie der Weltgeschichte. Sie markiert nicht nur die Schnittmenge zweier Epochen – Mittelalter und Neuzeit – , sondern bietet zudem das Beispiel für den bis dahin vielleicht jähesten Zusammenprall fremder Kulturwelten.

Im Mittelalter wurde die Welt noch als Einheit gesehen. Die Alte Welt umfasste Asien, Afrika und Europa. Die Welt schien in groben Zügen bekannt. Die verhältnismäßig unbedeutenden Kulturen, auf die Kolumbus in Amerika stieß, ließen sich vielleicht noch ignorieren. Auch beharrte der Entdecker Amerikas bekanntlich bis zu seinem Tod darauf, sich noch innerhalb der Grenzen der Alten Welt zu befinden. Doch spätestens als die Spanier an der Halbinsel Yukatan Mayaruinen erspähten und im Golf von Mexiko indianische Hochkulturen auffanden, die keine der bekannten Sprachen beherrschten, schien klar, dass die Alte Welt keinen universalen Anspruch mehr erheben konnte, dass sich eine Neue Welt hinzugesellt hatte, die die Alte allein durch ihre Existenz relativierte.

Dies warf eine Vielzahl gewichtiger Fragen auf: Warum stand von dieser Neuen Welt nichts in der Bibel? War die Bibel etwa nicht unfehlbar? Oder gab es jenseits des Atlantiks etwas zu verschweigen, eine satanische Gegenwelt möglicherweise? Stammten die Bewohner dieser Länder überhaupt von Adam und Eva ab? Oder war man vielleicht in keinster Weise mit ihnen verwandt? Wenn nicht, waren es dann überhaupt Menschen? Und, ebenso wichtig: Hatte Christus die Indianer gekannt? Hat er auch sie durch seinen Kreuzestod erlöst? Oder anders gewendet: Hatte irgendein Indianer bislang überhaupt schon etwas über das Christentum gehört?

Denkt man sich in die Conquista Mexikos hinein, muss man sich all diese Fragen vor Augen halten. Dann versteht man, dass die Entdeckung der Azteken durch die Spanier nicht nur Begierden nach deren Reichtümern weckte, sondern auch einigermaßen unheimlich war.

Als wie gläubig die Conquistadoren unter Cortés anzusehen sind, ist natürlich schwer zu sagen. Man kann in Menschen nicht hineinsehen, nur mit Hilfe von Quellen schon gar nicht. Und damals bestand nicht wie heute die Möglichkeit, aus der Kirche auszutreten. Das römische Christentum war spanische Kulturreligion, absolut identitätskonkret und unter den Katholischen Königen schlicht unhinterfragbar. Hernán Cortés selbst scheint von einer starken Volksfrömmigkeit geprägt, die das Augenmerk noch sehr auf das Alte Testament legte und das eigene brutale Tun daher im Sinne des rächenden und eifernden Gottes sowie des deuteronomistischen Landnahmeparadigmas recht gut mit der Bibel in Einklang zu bringen vermochten. Dass es auch damals schon Christen gab, die hier entgegengesetzter Meinung waren, steht auf einem anderen Blatt.

Die Conquista-Unternehmen waren private Beutezüge, zu denen niemand gezwungen wurde. Es verwundert daher nicht, dass man hier durchweg einen ganz bestimmten Menschenschlag vorfindet, der wenig religiöse Skrupel empfand, wenn er auf hohe Berge stieg, Unbekanntes entdeckte und Heiden unter das Joch der Kirche zwang. Wenn man davon ausgeht, dass in der Renaissance das menschliche Subjekt entdeckt bzw. sogar verabsolutiert wurde, so würde Cortés hierfür ein exzellentes Beispiel abgeben. Für Cortés, der aus verarmtem Adel der spanischen Extremadura stammt, der alten Frontera zu den Mauren, war nicht nur der Kampf gegen die Ungläubigen eine Selbstverständlichkeit, sondern ebenso die Erkenntnis, dass man sein Schicksal in die eigene Hand nehmen müsse. Im kargen Medellín gab es nicht viel zu gewinnen. Doch auch die reichen Landgüter und goldführenden Flüsse, die Cortés danach auf Kuba besaß, konnten ihn nicht auf Dauer befriedigen. All dies wurde von ihm aufgegeben und wiederum in seine Unternehmung nach Mexiko investiert, von deren Dimension er zu Beginn kaum eine klare Vorstellung gehabt haben kann.

Die spannenden Einzelheiten der Eroberungsgeschichte zu erzählen, würde leider den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Ich nenne daher nur die ganz groben Züge: Seinen eigentlichen Vorgesetzten, den kubanischen Statthalter Diego Velázquez verratend, machte Cortés sich mit seiner für karibische Verhältnisse großen Armee von ca. 600 Mann, 16 Pferden und einigen Geschützen auf den Weg von der Golfküste zur Hauptstadt des aztekischen Herrschers Moctezuma. Die Azteken hatten damals kein Reich im europäischen Sinne ausgebildet. Streng genommen handelte es sich um ein Tributimperium. Drei Städte, von denen bei Ankunft des Cortés Tenochtitlán mit ihrem Herrscher Moctezuma die mächtigste war, hatten sich zusammen geschlossen, um gewaltsam andere Städte und Staaten Zentralmexikos dazu zu zwingen, ihnen Tribute zu leisten. Es liegt auf der Hand, dass sie sich damit nicht nur Freunde gemacht hatten, und daher fiel es den Spaniern, nachdem es ihnen gelang, fähige Dolmetscher für sich zu gewinnen, relativ leicht, Verbündete gegen Tenochtitlán zu finden. Man könnte etwas überspitzt sagen, dass das entschlossene Auftreten des Cortés das knappe militärische Übergewicht des aztekischen Dreibunds kippte und nun ein zentralmexikanischer Bürgerkrieg begann, den Cortés mit Geschick und vielleicht noch mehr Glück zu dirigieren verstand, wobei manchmal allerdings nicht ganz deutlich wird, ob nicht vielmehr er und seine Spanier es waren, die dirigiert wurden.

Mit ihren Verbündeten nach Tenochtitlán gelangt, wurden sie dort am 08. November 1519 von Moctezuma prächtig empfangen und mit Geschenken überhäuft. Was Cortés nun genau beabsichtigte, ist nicht ganz klar. Offenbar bildete er sich ein, hier auf Dauer wie die Made im Speck leben zu können. Tatsächlich befand er sich allerdings auch wie die Maus in der Falle, denn die Stadt Tenochtitlán war eine der größten der damaligen Welt und lag inmitten eines großen Sees, so dass ihre einzige Verbindung zum Festland über lange Dammstraßen bestand, die die Azteken erbaut hatten. Diese Dammstraßen waren mit Bollwerken und entfernbaren Brücken versehen, die die Azteken kontrollierten.

Zu allem Überfluss hatte der Statthalter Kubas zu diesem Zeitpunkt eine Armee von über 1000 Mann nach Mexiko geschickt, um Cortés gefangenzunehmen. Dieser war also gezwungen, seine Truppe zu teilen, zur Küste zu eilen und dieser Armee zu begegnen, bevor sie mit den Azteken gemeinsame Sache hätte machen können. Es gelang ihm, die gegnerische Armee zu überrumpeln und die Neuankömmlinge davon zu überzeugen, dass es besser für sie sei, unter seiner Führung reich zu werden als arm und geschlagen wieder nach Kuba zurückzufahren. Um während seiner Abwesenheit aus der Stadt ein Druckmittel in die Hand zu bekommen, hatte Cortés zuvor Moctezuma gefangennehmen lassen, der sich offenbar so überlegen fühlte, dass er dagegen keine hinreichenden Vorkehrungsmaßnahmen ergriffen hatte. Doch dies hatte nicht den erwünschten Effekt, sondern verschlimmerte die Situation sogar. Der Stellvertreter des Cortés hatte inzwischen unter aztekischen Adeligen ein Massaker anrichten lassen, was zu offenem Aufruhr führte. Bald kam es zu Kampfhandlungen in der Stadt, so dass die Spanier sich in ihrem Quartier belagert sahen. Als Cortés von der Küste in die Stadt zurückkehrte, ließ man ihn nur herein, um desto bequemer alle Spanier gleichzeitig vernichten zu können. Moctezuma war als Geisel bereits nutzlos, da er seine Autorität verloren hatte, und die Vorräte gingen zur Neige. In einer für die Azteken leicht voraussehbaren Nacht-und-Nebel-Aktion brachen die Conquistadoren daher mit tragbaren Brücken aus der Stadt aus und suchten, das rettende Ufer zu erreichen. Dass dies einem Viertel der Truppe gelang und sowohl Cortés, seine wichtigsten Offiziere und die beiden Dolmetscher dies überlebten, grenzt an ein Wunder. Die meisten Pferde und fast alle indianischen Verbündeten, die sich mit den Spaniern in der Stadt befunden hatten, waren tot. Wenn die alliierten indianischen Staaten den Spaniern trotz dieser Niederlage nun nicht Unterschlupf gewährt hätten, wären diese verloren gewesen. Nicht unmaßgeblich für ihre Entscheidung dürfte gewesen sein, dass es den erschöpften und aller Feuerwaffen beraubten Spaniern gelang, auf dem Weg in die rettende Provinz Tlaxcala trotz allem das vereinte aztekische Heer im Feld zu besiegen, indem sie dessen General töteten.

Moctezuma und seine engsten Berater waren schon vor den Ereignissen der sogenannten noche triste, der traurigen Nacht, ums Leben gekommen. Für die Spanier besaßen sie als Gefangene keinen Wert mehr. Wenn sie zurück in die Freiheit gelangt wären, hätten sie ihnen jedoch wieder schaden können. Vor diesem Hintergrund ist es nicht unwahrscheinlich, dass Moctezuma und seine Getreuen auf Geheiß des Cortés getötet wurden, bevor der Ausbruch gewagt wurde.

Ende Mai 1521 begann dann die Belagerung der inzwischen durch die von den Spaniern eingeschleppten Seuchen geschwächten Stadt. Cortés ließ Schiffe bauen, mit denen er den See beherrschte. Von allen Dämmen aus vorrückend wurde dann Tenochtitlán Stück für Stück erobert und zerstört. Am 13. August 1521 gelang schließlich die Gefangennahme des letzten unabhängigen Aztekenherrschers Cuauhtémoc. Die Azteken waren endgültig besiegt.

Doch Cortés war damit noch nicht gerettet. Da er sich gegen den Statthalter des Königs aufgelehnt hatte, stand noch der Vorwurf des Hochverrats im Raum. Kaiser Karl V. war damals als Karl I. auch König von Spanien und hatte sich bisher nicht zu den für ihn weit entfernten Vorgängen äußern können. Um seinen Kopf zu retten musste Cortés in Mexiko nicht nur militärischen Erfolg haben, sondern den Kaiser durch möglichst große Goldgeschenke für sich einnehmen. Karl V. war nach gewonnener Wahl zum Kaiser praktisch bankrott und benötigte gerade nichts mehr als Gold. Um diesen für Cortés glücklichen Umstand in die richtigen Bahnen zu lenken, griff dieser unterstützend zur Feder. Von Beginn der Conquista an verfasste er die noch heute erhaltenen Berichtsbriefe an den Kaiser, in denen er ausführlich seine Taten darlegt und rechtfertigt. Selbstbewusst tritt er damit nicht nur in direkten Dialog mit dem mächtigsten Mann des Abendlandes, sondern zeigt in seinen Briefen auch, dass er über ein Wissen verfügt, mit dem sonst niemand aufwarten konnte und bei dem alle theologischen und antik-philosophischen Autoritäten versagen müssen. Sein Spezialwissen über die Neue Welt, über ihre Geographie, Kultur und vor allem über ihre Ressourcen beruhte einzig auf seiner Augenzeugenschaft und seinen persönlichen Bindungen zu den mächtigsten zentralmexikanischen Fürsten. Dieses Wissen verlieh ihm nicht nur Selbstbewusstsein als Subjekt, sondern stellte natürlich auch eine große Macht dar. Es war ein wichtiges Herrschaftswissen, das die kaiserlichen Geldtruhen füllte und das nur er besaß. Cortés war also in Mexiko unersetzlich, so seine Botschaft. Aber er konnte auch allein bestimmen, was von seinem Wissen er wie einsetzte. Er besaß die Macht und hatte die Stirn, sich seine eigene, zunächst kaum hinterfragbare Geschichte zu schreiben. Ja, er hatte die Gelegenheit, die Geschichte der Conquista Mexikos in weiten Zügen gleichsam zu erfinden.  – Und das tat er.

 

Hernán Cortés

Woher Hernán Cortés die Fertigkeit hatte, seine auch literarisch beachtlichen Berichte zu schreiben, ist nur in Ansätzen rekonstruierbar. Er hatte in Salamanca Rechtswissenschaften studiert, wohl aber ohne hier einen Abschluss zu machen. In Hispaniola hatte er sich dann als Schreiber betätigt und ist später persönlicher Sekretär des Statthalters von Kuba gewesen, des bereits erwähnten Diego Velázquez. Man kann also davon ausgehen, dass er sich seine Kenntnisse im Wesentlichen autodidaktisch aneignete.

Ebenso schwierig ist es zu sagen, welche literarische Bildung Cortés besaß. In seinen Berichten spielt er auf vielerlei an, das er freilich nicht unbedingt gelesen haben muss. Fest steht, dass er eine ausgeprägte mentale Antenne für seine Zeit hatte, ein gutes Gedächtnis und dazu die Kreativität, das irgendwo Aufgeschnappte passend zu verwerten.

Cortés war nicht eben ein bescheidener Charakter. Auf Kuba noch als „Cortesillo“ verspottet, begann er gleich nach seiner Ernennung zum Leiter der mexikanischen Expedition, sich selbst neu zu erfinden. Er kleidete sich nun vornehm mit Feder am Hut, einem Mantel aus schwarzem Samt und einer schweren Kette mit goldener Medaille auf der Brust. Es waren aber seine Bestimmtheit und Unbedingtheit, mit denen er die Ausrüstung seiner Flotte betrieb, die Gouverneur Velázquez bald daran zweifeln ließen, ob Cortés tatsächlich nur eine Erkundungs- und Handelsfahrt durchführen würde, wie er ihm aufgetragen hatte. Der neue Generalkapitän verschuldete sich so, als ob er nie zurückzukehren gedachte, und kaufte Waffen, als wolle er einen regelrechten Feldzug beginnen. Als die Flotte die Südküste Kubas entlang segelte, strömten beinahe alle waffenfähigen Männer der Insel zu Cortés, einige kamen sogar von benachbarten spanischen Stützpunkten in der Karibik, um sich ihm anzuschließen. Das sah ganz und gar nicht nach einer Handels- und Erkundungsexpedition aus.

Von Anfang an lief das Unternehmen anders ab, als es offiziell von Cortés dargestellt werden konnte. Tatsächlich ließ er sich schon in Kuba von Velázquez nichts mehr befehlen und brach bei der Abfahrt offen mit ihm. Er war damit ein Verräter. In seinen Berichten galt es, diesen Vorwurf, von dem Cortés ausgehen konnte, dass Velázquez ihn bei Hof gegen ihn erhob, zu entkräften und ins Gegenteil zu verkehren. Und das ging so:

Als Verräter besaß Cortés im Prinzip keine legale Autorität über seine Truppe. Er beherrschte sie zunächst nur, indem er sich als freigiebig und fähig zeigte. In Potonchan, an der Küste Tabascos, provozierte er ein Scharmützel mit den dortigen Einheimischen, um zu beweisen, dass er, bisher ja nur Sekretär und ohne militärische Erfahrung, seine Truppen auch zu führen verstand. Doch auf Dauer konnte dies die Unzufriedenen nicht mundtot machen. Daher griff Cortés zu einem juristischen Trick. An der mexikanischen Golfküste angelangt ließ er ohne zu zögern eine spanische Stadt gründen. Es ging dabei nicht vornehmlich um die Errichtung von Gebäuden, sondern darum, einen Stadtrat zu schaffen. Nach damaligem spanischen Recht nämlich konnte ein Stadtrat im Namen des Königs herrschen, bis dieser dessen Entscheidungen billigte oder verwarf. Der neue Stadtrat war also ein kleiner Souverän in seinem Bereich ähnlich wie es ein Statthalter wie Velázquez auf Kuba war. Cortés sorgte also dafür, dass Leute seines Vertrauens in diesen neuen Stadtrat gewählt wurden, legte dann sein Amt als Leiter der Expedition nieder und übergab seine Kompetenzen dem Stadtrat. Der Stadtrat wiederum kam dann auf die Idee, dass man für das weitere Vorgehen in Mexiko einen militärischen Anführer und auch einen Oberrichter haben müsse. – Hernán Cortés zum Beispiel. Und so ernannte der Stadtrat Hernán Cortés in diese Ämter.[1] Um letzte Zweifler an diesem rechtlichen Winkelschlag zu überzeugen, wurde vom neuen Oberrichter als erste Baulichkeit der Stadt Veracruz ein Galgen errichtet.

Als Velázquez dann später die erwähnte Armee schickte, um Cortés zu verhaften, gefährdete er, so Cortés, massiv den Erfolg der für des Kaisers Geldtruhen so wichtige Eroberung Mexikos. Wenn auch Cortés den Statthalter Velázquez verraten hatte, so habe dieser daraufhin höchste kaiserliche Interessen verraten.

Nachdem Cortés zum Befehlshaber und Oberrichter ernannt worden war, schlug er vor, dass man einen Bericht direkt an den Kaiser schreiben solle, um ihn von den Vorkommnissen und fabelhaften Aussichten in Mexiko zu unterrichten. Obwohl es als sicher gelten kann, dass er selbst maßgeblichen Einfluss auf den Text nahm, ihn vielleicht sogar zur Gänze selbst diktierte, wurde der Bericht offiziell im Namen des Stadtrates von Veracruz geschrieben und von diesem unterzeichnet. Um ganz sicher zu gehen und nicht den Eindruck zu erwecken, dass er, Cortés, ein selbstsüchtiger Usurpator sei, ließ er auch die Truppe einen kurzen Brief an den Kaiser schreiben, den möglichst jeder im Lager unterzeichnen sollte.

Zusammen mit den Goldschätzen, die Moctezuma den Conquistadoren bereits  an der Küste vermachte, wurden die Briefe direkt vom neu gegründeten Veracruz nach Spanien geschickt, überbracht von zweien der neu gewählten Stadträte.

Im Folgenden war Cortés bestrebt, sich als den treuesten aller Diener des Kaisers hinzustellen. Wenn er nun in etwas Erfolg hatte, dann war es, so versichert er in seinen Berichten wiederholt, Gottes Hilfe sowie dem sprichwörtlichen Glück Seiner Majestät geschuldet.[2] Gott half ihm wie Er auch die Unternehmungen seiner Majestät schirmte. Dem Herrscher Tenochtitláns will er treuherzig ausgerichtet haben, dass er ein Diplomat des Kaisers sei, den er als universalen und geradezu allwissenden Weltenherrscher darstellte.

Aus der zusammengewürfelten Truppe, die nicht nur aus Spaniern, sondern auch aus Griechen, Italienern, Franzosen und einem Schwarzen[3] bestand, zu der auch Alte, Frauen und Kinder gehörten und sogar notorische Gotteslästerer[4] wurde in Cortés´ Berichten eine strahlende Ritter-Armee, die selbstlos auszog, um den Ruhm von Gott und Kaiser zu vermehren. Er nennt sie nur „die Christen“ oder „die Spanier“. Dabei war es klar, dass der Zug nach Tenochtitlán und dessen schließliche Unterwerfung als Akt roher Gewalt verstanden werden könnte. Diesen Eindruck galt es für Cortés zu vermeiden, da dies zwangsläufig Velázquez in die Hände gespielt hätte, der Cortés ja ähnliches vorwarf. Und was würde Karl wohl davon halten, wenn er erfuhr, dass Cortés von Moctezuma zwar stets zuvorkommend behandelt wurde, er ihn dann aber undankbar und das genossene Gastrecht mit Füßen tretend gefangennahm?

Die Geschichte musste anders verlaufen sein. So entstand das Bild vom wankelmütigen und hinterhältigen Moctezuma, der mit der einen Hand reiche Geschenke verteilte, auf der anderen Seite aber keine Gelegenheit ausließ, die Spanier auszuspionieren, Städte gegen sie aufzuwiegeln, Wege unpassierbar zu machen und der im Bund mit dunklen Mächten stand. Überhaupt schilderte Cortés die mexikanische Religion um so düsterer je kritischer seine Lage war. Von Anfang an weist er darauf hin, dass in Mexiko zahllose „falsche“ Götter verehrt und dass hier offenbar Menschenopfer dargebracht werden. Im Landesinneren wollen die Spanier sogar Indianer aus Holzkäfigen befreit haben, in denen diese gemästet werden sollten, damit man sie später verspeisen könne.[5] Wenn die Conquistadoren in ihren Berichten die aztekischen Priester schilderten, schmutzstarrend, mit blutverkrusteten langen Haaren[6] und langen Fingernägeln[7] konnten sie sicher sein, dass kein guter Christ in Europa für diese Religion die geringste Sympathie empfinden würde.

Schon auf Kuba ließ Cortés für seine Unternehmung eine Fahne herstellen, auf der stand: „Freunde, folgen wir dem Kreuz! Und wenn wir Glauben haben, so werden wir in diesem Zeichen siegen!“[8] Damit stellte er sich in die Tradition Konstantins, der auf die Schilde seiner Legionäre ein Kreuz-Zeichen zusammen mit dem Spruch ´In hoc signo vinces´ anbringen ließ.[9] Der Gedanke an einen Kreuzzug ins Reich des Teufels lag so nahe, dass Cortés ihn gar nicht explizit ausführte. Statt eines rechtlosen Räubers wurde er in seiner eigenen Darstellung zum Befreier der Menschen Mexikos aus den Klauen einer satanischen Religion. Dies gab ihm seiner Ansicht nach sogar das Recht, sie später zu schweren Tributen und Arbeitsdiensten zu zwingen, denn „der Mensch lebt nicht vom Brot allein“, wie er laut Las Casas anmaßend erklärte.[10]

Hinzu kam, dass Cortés den Krieg in Mexiko, der ja tatsächlich in Gegenden stattfand, die von Spanien kaum ferner hätten sein können, quasi als logische Fortsetzung der Reconquista des spanischen Mutterlandes darstellte. Nicht nur reaktivierten die Conquistadoren den traditionellen Schlachtruf ´¡Santiago a ellos!´ aus der Reconquistazeit, sondern Cortés nannte das neu eroberte Land von Anfang an La Nueva España, also das neue Spanien. Damit man hier aber wirklich von einer „Rückeroberung“ sprechen konnte, war es notwendig, einen alten spanischen Besitzanspruch zu konstruieren. Als Cortés schließlich von Moctezuma empfangen wurde, soll dieser daher folgende berühmte Ansprache an ihn gehalten haben:

„Viele Tage ist es her, dass wir durch unsere Schriften von unseren Vorfahren Nachricht haben, dass weder ich noch alle, die wir in diesem Land leben, Eingeborene desselben sind, sondern Fremde und zu ihm aus sehr fremden Landesteilen gekommen sind. Und wir haben außerdem [Nachricht], dass ein Herr unser Geschlecht in diese Landesteile brachte, dessen Untertanen [wir] alle waren und der zu seinem Ursprungsort zurückkehrte. Und später kam er zurück nach langer Zeit, und zwar nach so langer, dass diejenigen, die geblieben waren, bereits mit den eingeborenen Frauen dieses Landes verheiratet waren, und sie hatten viele Nachkommen und Ortschaften gebaut, wo sie lebten. Und als er sie mit sich nehmen wollte, da wollten sie weder gehen noch ihn als Herrn anerkennen, und so kehrte er um. Und wir haben immer angenommen, dass diejenigen, die von ihm abstammen, kommen müssten, um dieses Land und uns als seine Vasallen zu unterwerfen. Und gemäß der Richtung, die ihr sagt, dass ihr da herkommt, die da ist, wo die Sonne aufgeht, und [gemäß] den Dingen, die ihr von diesem großen Herrn oder König [sc. Karl V.] erzählt, der euch hierher schickte, glauben wir und halten es für sicher, dass er unser natürlicher Herr ist, besonders weil ihr uns sagt, dass er seit vielen Tagen Nachricht von uns hat.“[11]

 Es ist heute unmöglich zu sagen, ob diese von Cortés in seinem zweiten Bericht überlieferte Rede völlig oder nur zum Teil von ihm erfunden wurde und was Moctezuma ggf. tatsächlich gesagt geschweige denn damit gemeint hat. Für unser Thema ist das aber gar nicht entscheidend. Es ist kaum zu glauben, dass Cortés aufgrund der schwierigen Übersetzungslage überhaupt eine genaue Vorstellung von dem entwickelte, was Moctezuma ihm hier sagte. Klar ist jedoch, dass er in seinem Bericht den Eindruck zu vermitteln suchte, dass Moctezuma von Beginn an der Ansicht war, seine Herrschaft nur stellvertretend für die spanische Krone auszuüben und von sich aus bereit war, diese an Kaiser Karl V. „zurückzugeben“ – und da Karl nun einmal nicht da war und Cortés als sein Gesandter auftrat – dass er sie Cortés übertrug. Weiter gedacht bedeutete dies, dass erstens ein altweltlicher Kulturheros – möglicherweise Herkules, dessen Säulen im südlichen Spanien ja die Pforte der Alten Welt in die Neue markieren und sich sogar in Karls Wappen finden, der sich somit gewissermaßen auch als Nachfolger des Herkules darstellte – die zentralmexikanische Kulturwelt begründet hatte, und zweitens, dass von nun an jeglicher Widerstand gegen den Machtanspruch des Cortés in Mexiko als illegal bzw. als Rebellion gewertet werden konnte, ja musste.

Auf diese Weise waren auch die Voraussetzungen geschaffen, den Tod Moctezumas zu erklären. Moctezuma war legitimer und natürlicher Herrscher, wenn schon nicht über dann doch zweifellos in Mexiko, und vom Standpunkt Kaiser Karls aus zunächst einmal ein Fürst. Auch wenn sich Karl als Christ Moctezuma weit überlegen gefühlt haben wird, musste es für ihn doch als Missachtung der natürlichen Ordnung erscheinen, wenn ein unbedeutender hidalgo sich erdreistete, einen Fürsten, und sei es ein heidnischer, zu ermorden. Cortés war es – im Gegensatz zu seinem weniger intelligenten Schüler Francisco Pizarro – sonnenklar, dass ein solcher Eindruck auf jeden Fall zu vermeiden war. Schon aus diesem Grund durften die Spanier nicht am Tod Moctezumas schuld sein. Da bereits die Gefangenschaft desselben für das Ehrgefühl Karls eine Zumutung war, wird Cortés nicht müde zu betonen, wie wohl sich Moctezuma in dieser gefühlt habe. Es sei ihm möglich gewesen, wie zuvor zu regieren und sogar mit geringer spanischer Begleitung auf die Jagd zu gehen.[12] Angeblich ergab er sich freudig in sein Schicksal.

Was heute schwer zu glauben ist, entbehrt im Subtext nicht der Logik. Denn ohne es auszusprechen zeichnet Cortés eine deutliche Parallele zwischen Moctezuma und Flavius Josephus. Genau wie Josephus ist Moctezuma ein Sehender, der erkennt, dass Gott über die Heiden kommt und unausweichlich über diese sein Strafgericht abhalten wird. So wie die militärisch unwiderstehlichen Römer als Instrument Gottes die sündigen Juden, genauer gesagt die Zeloten, in Jerusalem züchtigten, werden nun die Spanier die gottlosen, ja in satanischem Wahn verhafteten Azteken geißeln. Widerstand war zwecklos. Daher versuchte Moctezuma gar nicht erst, Cortés aufzuhalten und stellte sich willig in seinen Dienst. Doch die beiden Gott-Sehenden können nicht verhindern, dass ihre Landsleute sich störrisch geben. Weder Titus Flavius Vespasianus noch Cortés wollen die Stadt zerstören und versuchen jedes Mittel, die Rebellen wider Gott zur Einkehr zu bewegen. Schließlich überreden sie Josephus bzw. Moctezuma, sich an den Mauern zu zeigen und zu ihren Landsleuten zu sprechen. Doch die Antwort der Verstockten besteht in beiden Fällen aus Schimpf und Steinwürfen. Flavius wird mehrmals schwer getroffen, ebenso Moctezuma. Während ersterer sich wieder erholt um schließlich seine Geschichte schreiben zu können, stirbt letzterer jedoch an gebrochenem Stolz und vor der Schande, die man ihm angetan hat.

Wohlgemerkt: Aus den Quellen lässt sich nicht beweisen, dass Moctezuma von den Spaniern ermordet wurde. Aus den Quellen lässt sich hierüber überhaupt keine sichere Aussage machen. Aber es gibt Hinweise darauf, und man muss bei dem geschliffenen Bericht des Cortés bedenken, dass dieser hier um sein Leben schrieb. Balboa, der Entdecker des Pazifiks, war 1514 für geringere Vergehen im Namen des Kaisers geköpft worden. Und Cortés wusste das.

Der mögliche Einwand, dass Cortés doch kaum die Schrift des Flavius Josephus gekannt haben wird, lässt sich entkräften. Diese Schrift wurde damals viel gelesen und gehörte zum klassischen Bildungskanon. In den Berichten finden sich zudem weitere deutliche Anlehnungen an weitere antike Autoren, allen voran Julius Caesar. Bei aller zur Schau getragenen Untertanentreue war Cortés wie bereits von Eberhard Straub gezeigt doch schwach genug, sich für seinen Bericht über die Eroberung Mexikos den Gallischen Krieg Caesars zum Vorbild zu nehmen. Genau wie Caesar zeigt sich Cortés hier als überlegener Stratege und Herr über jede damals erdenkliche Form der Kriegstechnik. Wie Caesar baut er Brücken an unmöglich erscheinenden Stellen, nur dass er dies noch schneller und dauerhafter bewerkstelligt als sein großes Vorbild. Wie Caesar beherrscht er sowohl seine Soldaten als auch die Menschen Mexikos durch die Maxime divide et impera.[13] Und wie Caesar erweist er sich nicht nur als überlegener Feldherr, sondern auch als begnadeter Staatsmann, der schon während der Eroberung einen neuen spanischen Staat in Mexiko schafft und mit überlegener Diplomatie ausgleicht, was ihm an militärischer Macht gebricht, die er übrigens maßlos übertreibt, indem er die indianischen Verbündeten nur dann erwähnt, wenn er jemandem die Schuld für nicht vertuschbare Niederlagen zuweisen muss.

Cortés war nach der erfolgreichen Eroberung Tenochtitláns unbestreitbarer Herr Mexikos. Der Kaiser war zunächst einmal weit weg. Bis er reagieren konnte, herrschte Cortés konkurrenzlos – auch über die Geschichte. Vae victis heißt es, und die Sieger bestimmen, was überliefert wird. So auch in diesem Fall. Die aztekischen Kulturträger, meist waren es Priester, wurden im Namen des christlichen Glaubens gezielt verfolgt und getötet. Ihre Schriften wurden vernichtet, um auch die möglicherweise gefährliche Vorgeschichte auszulöschen. Dafür sorgten im eigenen Interesse die indianischen Verbündeten des Cortés, die die Archive der Dreibundstädte in Flammen aufgehen ließen. Den Rest besorgten die ersten Missionare mithilfe fanatisierter aztekischer Schüler.

Fast wundert man sich, dass Cortés nicht der einzige in seiner Truppe aus Abenteurern war, der die Geschichte der Eroberung niederschrieb. Mindestens ein halbes Dutzend seiner Untergebenen suchten es ihm gleichzutun. – Doch konnten sie schreiben, was sie wollten? – Nein. Dreiste unter ihnen lieferten sich schon unmittelbar nach Kriegsende mit ihm ein kleines Wortgefecht auf der frisch getünchten Wand seines Quartiers in Coyoacán. Als es ihm zu bunt wurde, beendete der Generalkapitän nach einigem frechen Hin und Her die Sache mit einem „Weiße Wand – Papier der Blöden!“[14] Das war das Ende der Diskussion.

Erhalten haben sich von daher vor allem die Berichte von denjenigen, die zur Partei des Cortés gehörten und ihm Schützenhilfe gaben. Als Cortés längst tot war und von allen Zeitzeugen allenfalls noch eine Handvoll lebten, griff plötzlich einer von diesen zur Feder und schrieb im hohen Alter eine Chronik, die alle bisherigen Augenzeugenberichte in den Schatten stellt: Die „Wahre Geschichte der Eroberung Neuspaniens“. Die Rede ist vom Fußsoldaten Bernal Díaz del Castillo. Doch gerade dieser ach so wahre Geschichte, die angeblich ein Mittsiebzigjähriger ganze 50 Jahre nach all diesen Ereignissen in unübertroffener Detailfreude und Lebhaftigkeit schrieb, haftet viel Rätselhaftes an. Doch bevor wir zu Bernal Díaz kommen, muss kurz auf drei andere Augenzeugenberichte aus der Truppe des Cortés eingegangen werden.

 

Bernardino Vázquez de Tapia

Bernardino Vázquez de Tapia war einer der Hauptleute des Cortés. Aus seinem Bericht von 1544 geht hervor, wie lückenhaft die Version seines Vorgesetzten bei all ihrer Ausführlichkeit doch ist – und wie sehr die Conquistadoren oft tatsächlich zum Spielball der zentralmexikanischen Völker zu werden drohten. Aufgrund einer krassen Fehlentscheidung des Cortés wurde er beispielsweise, nachdem die Spanier ein Bündnis mit den Tlaxcalteken gegen die Azteken geschmiedet hatten, nur von einem Kameraden begleitet nach Tenochtitlán zu den Azteken geschickt. Auf dem Hinweg dorthin versuchten die tlaxcaltekischen Führer unentwegt, die beiden umzubringen, was stets nur durch die Hilfe der aztekischen Begleiter verhindert werden konnte. Den beiden wurde nicht der richtige Weg über die Lagune zur Stadt gezeigt, so dass sie auf diese nur vom Ufer aus einen Blick werfen konnten. Hier wurde ihnen gesagt, dass Moctezuma unpässlich sei und sie nicht treffen könne. Er war aber vermutlich inkognito doch dort. Anstatt dass sich also die Spanier ein Bild von Moctezuma machen konnten war es genau anders herum. Nachdem Moctezuma sie gesehen hatte, waren es nun die Azteken, die den beiden Spaniern nach dem Leben trachteten und die erleichterten Tlaxcalteken diejenigen, die es ihnen retteten. – Cortés übergeht die Episode wohlweislich, in der er von allen Seiten an der Nase herumgeführt worden war.

Was den Tod Moctezumas betrifft, erwähnt Vázques de Tapia, dass die Azteken glauben würden, dass die Conquistadoren Moctezuma ermordet hätten. Dies sei aber, so versichert er, ein Missverständnis.[15]

 

Andrés de Tapia

Andrés de Tapia, ebenfalls Hauptmann des Cortés, aber auch einer seiner treuesten Gefolgsleute, hält sich an die Leitversion.[16] Allerdings spinnt er in seinem Bericht, der nach 1529 entstand, den Faden an entscheidender Stelle weiter. Wie sein Generalkapitän behauptet er, dass Moctezuma eine Rede über einen wiederkehrenden Fürsten hielt. Unabhängig davon berichtet er aber auch von dem aztekischen Gott Quetzalcóatl in der Stadt Cholula. Diesen schildert er so, als habe es sich um einen christlichen Apostel gehandelt. Spätere Versionen der Eroberungsgeschichte sollten dies aufgreifen und Mexiko eine christliche Urmission andichten, was bedeutet hätte, dass die Azteken nicht nur verstockte Heiden, sondern vielmehr Abtrünnige und Ketzer waren, was sie von Beginn an und per se zu Rebellen gegen eine christliche Herrschaft machte.

 

Francisco de Aguilar

Ein weiterer interessanter Augenzeugenbericht, geschrieben 1560, ist derjenige des nachmaligen Dominikaners Francisco de Aguilar. Im Gegensatz zu den übrigen Conquistadoren behauptet dieser, dass diese von den Indianern z.T. für „unsterbliche Götter“ gehalten worden seien.[17] Diese Behauptung sollte spätere Darstellungen maßgeblich prägen und findet sogar noch in aktuellen Schul- und Geschichtswerken ihren Niederschlag. Es gibt jedoch gerade in der noch am ehesten als „aztekisch“ anzusehenden Quelle – den Annalen von Tlatelolco – nicht den kleinsten Hinweis darauf, dass die Spanier einen übernatürlichen Eindruck auf die Indianer gemacht hatten.

 

Bernal Díaz del Castillo

Kommen wir nun zum schillernden Fall des Bernal Díaz del Castillo. Bernal gibt sich als ein einfacher Fußsoldat des Cortés aus, der von diesem zwar nie ein größeres Kommando übertragen bekam, aber trotzdem bei allen wichtigen Ereignissen – außer bei solchen, die seine tatsächliche Teilnahme an irgendeiner Conquista bewiesen hätten – unmittelbar beteiligt war und auch mit allen wichtigen Protagonisten inklusive Moctezumas auf vertrautem Fuße stand. Wenn man sich von der spannendsten aller Schilderungen der Eroberung Mexikos, bei der man mehrmals eine Gänsehaut verspürt, als wenn man selbst von einem Azteken am Schopf gepackt zum Opferaltar gezerrt würde, erholt hat, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier ein Don Quijote in seiner eigenen Phantasiewelt aufgegangen ist. Sieht man genau nach, bringt Bernal Díaz nur dort Neues, wo es sich um Nebensächlichkeiten und Räuberpistolen handelt. José Antonio Barbón Rodríguez, dem z.Zt. besten Kenner der Historia verdadera, gelang es kürzlich, Bernal tatsächlich nachzuweisen, dass er an der Expedition, die vor Cortés nach Mexiko fuhr, nicht teilgenommen hat, obwohl er seine dortigen Taten und Eindrücke lang und breit schildert.

Wie dem auch sei: Selbst wenn Bernal Díaz tatsächlich nicht der Conquistador war, der er vorgibt zu sein, ist seine Chronik daher noch nicht ein reines Phantasieprodukt, sondern zumindest sehr gut recherchiert. Díaz hatte alles gelesen, was bisher darüber geschrieben wurde, wahrscheinlich auch Berichte, die sich nicht bis heute erhalten haben.

Im Wesentlichen folgt er auch der Version des von ihm in (auf den ersten Blick) rührender Treuherzigkeit verehrten Cortés, doch tatsächlich hat seine Perspektive etwas Subversives. Bernal breitet gnadenlos die kleinen und großen Schwächen des Cortés in vorgeblicher Bewunderung aus. Wo Cortés berichtet, dass die Azteken ihn ehrfürchtig wie einen Halbgott behandelten, schildert Díaz, wie er mit Moctezuma eine der steilen Tempelpyramiden hinaufsteigt und oben – über 2000m über dem Meer – auf dessen höfliche Frage, ob es ihn nicht zu sehr angestrengt habe, zweifellos schweißgebadet bemerkt haben soll, dass Spanier überhaupt nichts anstrengen könne. Wo Cortés schreibt, dass sich Moctezuma in der Gefangenschaft wohlgefühlt habe, setzt Bernal Díaz noch eines obenauf und schildert, wie Cortés mit ihm Brettspiele spielt und Pedro de Alvarado, sein Stellvertreter, beim Zusammenzählen der Punkte für seinen Chef immer ein paar Striche zuviel notiert. Von seinem, des Bernal Díaz, Edelmut ist Moctezuma, der das Schummeln amüsiert bemerkt, hingegen so angetan, dass er ihm eine hübsche Sklavin schenkt, wofür sich Bernal wiederum aufs Artigste bedankt.

Bei einer anderen Gelegenheit, als die letzte Bastion der Azteken kurz vor dem Fall stand, ließ sich Cortés – aus purer Eitelkeit – von einem gewissen Sotelo überreden, zwei Katapulte zu bauen. Diese sollten, feixt Díaz, riesengroße Steine verschleudern, um das aztekische Bollwerk zu zertrümmern. Bernal hatte nach eigenen Angaben ebenfalls Flavius Josephus gelesen und wird zweifellos bemerkt haben, wie lächerlich die Caesar-Allüren des Cortés waren, hatte Vespasian vor Jerusalem doch stolze 160 Wurfmaschinen in Stellung bringen lassen, die eine verheerende Wirkung auf die Stellungen der Juden entfalteten.[18] Nachdem Cortés´ Drohung den Azteken lauthals verkündet und viel Arbeit auf den Bau der Maschinen verwendet worden war, versagten diese jedoch vollständig. Der erste Stein fiel genau vor den Maschinen auf den Boden.[19] Díaz del Castillos Spott wird erst richtig deutlich, wenn man seine Version mit der des Cortés vergleicht: Hier heißt es, es habe sich nur um ein Katapult gehandelt,[20] zudem um „ein kleines“. Er, Cortés, habe ohnehin nicht geglaubt, dass es funktionieren würde, es sei nicht seine Idee gewesen. Allerdings schildert Cortés, wie die Azteken den viertägigen Bau von den Söllern ihrer Häuser aus mit Bangen verfolgten und die Verbündeten der Spanier bereits damit prahlten, dass sie damit alle erschlagen würden. Cortés fügt hinzu, er habe die Konstruktion dann, nachdem sich herausstellte, dass sie nicht recht funktionierte, wieder abgebaut und den Azteken übermitteln lassen, dass er es sich anders überlegt habe, und sie aus Mitleid doch nicht alle töten wolle.[21]

Es scheint sicher, dass vieles in dieser Chronik aus anderen Berichten, möglicherweise auch mündlich an Bernal gelieferten, zusammengefügt und zu einer sehr guten Geschichte geformt wurde. Wieviel davon auf purer Erfindung beruht, lässt sich nicht in Prozent erfassen, doch gerade in diesem Bericht sind eindeutige Ausschmückungen und Unwahrheiten nachweisbar. Doch auf welche Wahrheiten kam und kommt es an? Selbst wenn Bernal Díaz sich eine Conquistadoren-Vergangenheit komplett angedichtet haben sollte, so hat er Cortés doch zweifellos durchschaut. Denn auch wenn er als treuer Soldat der offiziellen Version des Cortés im Wesentlichen folgt, kratzt Bernal Díaz aus seiner Fußsoldatenperspektive mit diebischem Vergnügen am Sockel des strahlenden Anführers. Andere wie vor allem der Dominikaner Bartolomé de las Casas, der zwar eindeutig nicht an der Eroberung Mexikos teilnahm, aber Cortés persönlich auch gut kannte, taten dies leidenschaftlich und ohne Rücksicht, ja verkehrten den Konstantin, Julius oder Titus Caesar gar in einen Nero Caesar, der vergnügt singend von einer Pyramide auf von ihm in Brand gesetzte Städte herabblickt. Doch auch diese, sicherlich nicht aus direkter Anschauung abgeleitete Version näher zu beleuchten würde hier zu weit führen.

  

Bernardino de Sahagún

Ergiebiger scheint es, sich einer weiteren Perspektive anzunehmen, die zwar ebenfalls stark christliche, zudem jedoch auch starke aztekische Einflüsse aufweist: die Perspektive eines franziskanischen Missionars, der 1547-1580 systematisch aztekische Zeitzeugen befragte und aus ihren Antworten und in ihrer Sprache – dem Nahuatl – eine Version der Geschichte schrieb, die sich als rein „aztekisch“ ausgibt, was jedoch mitnichten der Fall ist.

Hierzu muss man wissen, dass die Franziskaner auf Geheiß des Cortés das ungeheure Missionswerk in Neuspanien begannen und nachhaltig prägten. Selbst nicht unbedingt Spanier gingen sie mit den Conquistadoren zwar ein politisches Bündnis gegen diejenigen ein, die die Conquista als verwerflich angriffen, doch im Grunde verfolgten sie eigene Ziele in Amerika. Sie wollten hier ein neues, reines Christentum errichten, das nicht vom Luxus und den Ausschweifungen der römischen Papstkirche verdorben war. Ganz den Prinzipien des Hl. Franz von Armut und Demut verhaftet strebten sie zurück zur christlichen Urgemeinde. Damit wären wir wieder in Jerusalem. Aber damit sind wir auch bei Missionaren, die sich – nur eine Handvoll gegenüber Millionen – unter Indianern zu Indianern machten, barfuß wie diese, ärmlich wie diese, mit ihnen zusammen lebend und ihre Sprache sprechend. Einer dieser geistlichen Conquistadoren war Bernardino de Sahagún, der wenige Jahre nach dem Fall Tenochtitláns in Mexiko eintraf. In seinem höchst bedeutenden Werk, der Historia general de las cosas de la Nueva España griff er auf Vorarbeiten seiner Mitbrüder zurück und führte diese konsequent im Anschluss sowohl der aztekischen Augenzeugenberichte als auch desjenigen des Cortés weiter.

Sahagún behauptet in seinem Werk, dass sich die Conquista durch eine Reihe von unheimlichen Vorzeichen angekündigt habe: Es handelt sich um ein ´Feuerbüschel´, den Brand des Haupttempels von Tenochtitlán, einen ´Kometen´, das Aufschäumen der Lagune von Mexiko, eine schreiende Geisterfrau, einen kranichähnlichen Vogel mit dem magischen Spiegel auf dem Kopf, in dem Moctezuma fremdartige Krieger erblickt, und das häufige Antreffen von Menschen mit zwei Köpfen.[22] Mit ziemlicher Sicherheit darf man davon ausgehen, dass diese Vorzeichen nicht historisch sind.[23] Die kulturellen Wurzeln dieser ´Zeichen´, die einem bereits im Bericht des Conquistadoren Juan Díaz über eine frühere Erkundungsexpedition nach Mexiko begegnen,[24] und deren Erwähnung nur Sinn machen, wenn der Leser sie versteht, liegen spätestens in der antiken Wahrsagekunst der Sibyllinischen Bücher, in die die Priester bei unheilverkündendem prodigium Einsicht nahmen. Durch Vergleiche mit antiken Quellen beweist Rozat Dupeyron 1993 die mittelmeerische Herkunft der bösen Vorzeichen Blitz (ohne Donner), atmosphärische Erscheinungen, Komet, Überschwemmung, Auftreten von Monstern und unheimlichen Stimmen.[25] Einmal mehr drängt sich der Vergleich Tenochtitláns mit Jerusalem auf. Schon Fray Agustín de Betancur OFM[26] lenkte 1698 den Blick wieder auf Flavius Josephus´ Jüdischen Krieg.[27] Dort heißt es:

„Auch stellten sich Wahrzeichen ein, welche von dem ruhigen Teile der Bevölkerung für unheilverkündend gehalten wurden [...]. Noch ehe die Römer heranzogen, hatte Jerusalem bereits das Ansehen einer dem Untergang geweihten Stadt.“[28]

„In der Nacht [...] brach ein schreckliches Unwetter los: heftiger Sturm, gewaltige Regengüsse, unablässiges Blitzen mit furchtbaren Donnerschlägen und unheimliches Gebrüll der erschütterten Erde. Augenscheinlich war die Weltordnung zum Verderben der Menschen in Verwirrung geraten, und man musste darin die Vorzeichen eines schweren Unglücks erkennen.“[29]

Vernehmlich zeigten sich „die lauten Warnstimmen Gottes - so zum Beispiel, als ein schwertähnliches Gestirn über der Stadt stand und ein Komet ein ganzes Jahr lang am Himmel blieb, [... oder als] ein starkes Licht den Altar und den Tempel umstrahlte, dass man hätte glauben sollen, es sei heller Tag, eine Erscheinung, die fast eine halbe Stunde anhielt. [... Des weiteren] warf eine Kuh, die der Hohepriester als Schlachtopfer zum Altar führte, mitten im Tempel ein Lamm.[30] [...] Vor Sonnenuntergang [...] sah man über der ganzen Gegend in der Luft Wagen und bewaffnete Scharen durch die Wolken dahineilen und Städte umkreisen. Weiterhin vernahmen [...] die Priester [...] ein Getöse und Rauschen, und später auch den vielstimmigen Ruf: ´Lasset uns von hinnen ziehen!´ [...] Ein ungebildeter Landmann [...] fing da plötzlich an zu rufen: ´Eine Stimme vom Aufgang, eine Stimme vom Niedergang, eine Stimme von den vier Winden; eine Stimme über[31] Jerusalem und den Tempel, eine Stimme über Bräutigame und Bräute, eine Stimme über das ganze Volk!´ Tag und Nacht rief er dies, in allen Gassen der Stadt umherlaufend.“[32]

 Moctezuma ist auch hier ein Gott-Sehender. Er, der für seine streng asketische, priesterliche Haltung bekannt war, hatte im Gegensatz zu seinem Volk die Weisheit – so Sahagún – das Herannahen des göttlichen Strafgerichts zu erkennen. Die übrigen Azteken waren die Verblendeten, die nicht sahen, was Moctezuma bald mit Gewissheit wusste: Die Tage des Heidentums waren gezählt. Er soll zur Probe zuvor mehrmals Magier geschickt haben, um die Kastilier aufzuhalten. Diese jedoch erwiesen sich als völlig machtlos und meldeten ihrem Gebieter: „Wir sind kein Widerpart, wir sind wie nichts.“[33] Widerstand und Flucht schienen aussichtslos: „Denn dort Motecuhçoma/ wird sich nicht vor uns verbergen können [...]./ Wohin will er gehen?/ Ist er ein Vogel? will er fliegen?/ oder will er sich unter der Erde seinen Weg machen?/ will er irgendwo in einen hohlen Berg gehen?“[34] Genau dies jedoch erwog Moctezuma laut Sahagún zunächst, „er wollte entfliehen,/ er wollte sich flüchten,/ er wollte sich verbergen,/ er wollte sich vor ihnen verbergen [...]./ Und er sann nach [... :] ´Soll ich in irgendeine Höhle gehen?´“[35] In der Offenbarung des Johannes, der Apokalypse, lautet die entsprechende Passage: „Und die Könige der Erde, die Großen und die Heerführer, die Reichen und die Mächtigen [...] verbargen sich in den Höhlen und Felsen der Berge. Und sie sagten zu den Bergen und Felsen: Fallt über uns und verbergt uns vor dem Angesicht dessen, der auf dem Thron sitzt, und vor dem Zorn des Lammes: Denn der große Tag ihres Zorns ist gekommen. Und wer wird da bestehen?“[36]

Folgerichtig ist auch der Rest der Sahagúnschen Eroberungsgeschichte nur scheinbar aus aztekischer Perspektive geschildert. Zwar trifft es wahrscheinlich zu, dass die Spanier auf ihren den Azteken unbekannten Pferden und mit eisernen Panzern und Feuerwaffen ausgerüstet einen schrecklichen Eindruck verbreiteten. Doch wenn Sahagún sie beschreibt, schwingt unterschwellig eine zutiefst franziskanische Botschaft mit: Die Conquistadoren waren aus dieser Perspektive keineswegs Ritter gemäß dem mittelalterlich-höfischen Ideal. Und doch kamen sie im Namen Gottes: Sie waren seine Geißel für die sündigen Heiden und kamen über sie wie die apokalyptischen Reiter. Bei Sahagún heißt es:

„Und jedermann, alles Volk/ ist bestürzt,/ beinahe in Aufruhr (in hellen Flammen),/ wie wenn die Erde sich bewegt,/ wie wenn die Erde zittert,/ wie wenn alles vor den Augen sich im Kreise dreht;/ es herrschte allgemeine Furcht./ Und nachdem [die Stadt] Cholula hingemordet worden war,/ brachen sie auf, um nach Mexiko zu kommen,/ in Haufen kommen sie, wie ein Strom kommen sie,/ den Staub wirbeln sie auf./ Ihr Eisenstab, ihr Fledermausstab (ihre Lanze)/ gleichsam ein Meer von Glanz;/ und ihr Eisenschwert/ wie Wasser(wellen) hin und her gebogen;/ wie lauter Rasseln;/ ihr Eisenhemd (ihr Panzer), ihr Eisenhelm. / Und einige bestehen ganz und gar aus Eisen,/ sind Eisenmänner geworden, glänzen./ Darum wurden sie mit großer Scheu angesehen,/ daher wurden sie sehr gefürchtet,/ daher wurden sie furchtsam betrachtet,/ daher waren sie starkes Entsetzen erregende Leute./ Und ihre Hunde laufen voran,/ laufen vor ihnen her,/ stehen vor ihnen, liegen vor ihnen;/ sie kommen keuchend,/ der Geifer hängt ihnen (aus dem Munde) herab.“[37]

 „Lauter Eisen ist ihre Kriegstracht,/ [...] und ihre Hirsche [...] tragen sie auf dem Rücken,/ dachhoch sind sie dadurch (an Gestalt)./ Und überall ist ihr Körper eingehüllt,/ Nur ihr Gesicht ist sichtbar, ganz weiß,/ Kalkgesichter sind es [...],/ sie haben gelbe Bärte. [...] Und ihre Hunde, sehr groß,/ [...] mit feurigen, mit flammenden Augen,/ [...] wild, wie Unholde,/ immer keuchend,/ immer mit heraushängender Zunge“.[38]

 Mit dem tatsächlichen Erscheinungsbild der Conquistadoren hatte dies nur entfernt zu tun, insbesondere was die Betonung des Eisens angeht.[39] Stattdessen trugen die meisten von ihnen indianische Baumwollpanzer. Vergleicht man dazu jedoch die Beschreibung eines apokalyptischen Reiters, dann wird die allgemeine Angleichung des schrecklichen Auftretens deutlich: „Und siehe, ein fahles Pferd: Und der, der auf ihm saß, jenes Namen ist Tod; und die Unterwelt folgte ihm. Und ihm ist die Macht gegeben über ein Viertel der Erde [und] zu töten durch Schwert, Hunger und Tod und durch die Tiere der Erde.“[40] Auch die Betonung des Hirsches als Reittier ist aufschlussreich. Dass die Conquistadoren nicht Hirsche ritten, muss den Azteken, die zwar keine Pferde, wohl aber Hirsche kannten, aufgefallen sein. Im obigen Zitat heißt es jedoch nicht, dass die Reittiere Hirschen ähnlich waren, sondern schlicht, dass es sich um Hirsche handelte. In der christlichen Symbolik bedeutet der Hirsch hingegen ´Glaube, Liebe und Hoffnung´. Der Subtext suggeriert somit, dass nach der Strafe Gottes für die Azteken eine gesegnete Zeit aufkommen kann.

Für diese Zeit nämlich wollten die Franziskaner sorgen. Auf den Trümmern des zerstörten Tenochtitlán sollte ein neues Jerusalem entstehen, ganz im Sinne der franziskanischen Ideale. Der ebenfalls für die damalige franziskanische Tradition typische Chiliasmus bildete die drohende Kulisse für diesen reinigenden Akt. Auf den geschleiften Tempelpyramiden wurden Kirchen gebaut, die alten Geschichten durch eine neue ersetzt. Dies war der tiefere Sinn, die Historia general zunächst auf Nahuatl zu verfassen und dieser Version als Feigenblatt für die Inquisition eine spanische Fassung beizugesellen. Diese ist jedoch keineswegs die getreue Übersetzung des aztekischen Textes, die sie vorgibt zu sein, sondern weicht an Stellen, die für spanische Leser langweilig oder unzumutbar sein könnten, von diesem ab und ergeht sich dort in theologische Grundsatzdebatten.

Dass sein Unterfangen auch aus franziskanischer Sicht nicht unproblematisch war, zeigt sich am Beispiel dessen, was Sahagúns aztekische Schüler aus der Quetzalcóatl-Vorlage Andrés de Tapias machten: Sie verschmolzen die cortesische Legende vom wiederkehrenden Fürsten mit Aguilars Behauptung, die Spanier seien für Götter gehalten worden sowie Tapias Quetzalcóatl-Schilderung. In der Nahuatl-Version der Chronik Sahagúns heißt es in diesem Sinne: Als Cortés landete, sei Moctezuma überzeugt gewesen, dass es Quetzalcóatl sei, „indem er gewissermaßen so dachte:/ es ist unser Fürst Quetzalcouatl, der gekommen ist./ Denn so war sein Wille gewesen,/ daß er wiederkommen wird, daß er herkommt/ seinen Thron wieder einnehmen wird,/ weil er dorthin (nach Osten) gegangen war, als er fortzog.“[41]  In der spanischen Version des Textes weist Sahagún, der als Kenner der aztekischen Kultur auch den Gott Quetzalcóatl vom gleichnamigen historischen Fürsten der Tolteken zu unterscheiden weiß, diese Darstellung entschieden zurück: „Das, was eure Vorfahren sagten, dass Quetzalcóatl nach Tlapallan[42] ging und wiederkehren soll und ihr ihn erwarten würdet, ist Lüge, denn wir wissen, dass er starb. Sein Körper ist zu Staub gemacht, und seine Seele hat Gott unser Herr in die Hölle geworfen. Dort ist er in ewigen Qualen.“[43] Doch für die Azteken bot dies eine bequeme Erklärung des Phänomens, dass so wenige Hundert Spanier so viele Millionen Indianer hatten unterwerfen können. Die Quetzalcóatl-Legende jedoch, deren Genese Werner Stenzel bereits 1980 minutiös nachgezeichnet hat, entwickelte eine solche Eigendynamik, dass sie geradezu zum Gemeinplatz der Conquistageschichte und in der Folge insbesondere im Gewand des Gottes Viracocha auch auf die Conquista Perus und andere spanische Eroberungen in Amerika transferiert wurde.

 

Fazit

Die Eroberung Mexikos (und in ähnlicher Form ganz Lateinamerikas) ist demnach so, wie sie überliefert wurde und wie sie in unkritischen Darstellungen noch immer wiedergegeben wird, in vielerlei Hinsicht schlichtweg erfunden. Eine „wahre Geschichte“ von etwas kann es schon theoretisch nicht geben, doch im vorliegenden Fall ist eine klare Trennung von Fakten und Fiktionen besonders schwierig. Der weite Ozean entzog die Sieger der Wahrheitskontrolle durch andere Europäer. Die Besiegten andererseits durften Ihre Version nur durch den Filter der Sieger äußern. Die altmexikanische Schrifttradition brach vollständig ab, und wer in lateinischer Schrift schrieb, musste dies nicht nur von den Missionaren gelernt haben und folglich auch durch ihre Bekehrungsschule gegangen sein, sondern konnte auch nur dann hoffen, dass seine Aufzeichnung überliefert wurden, wenn die Mönche sie akzeptierten.

 Die von Cortés vorgegebene Version der spanischen Augenzeugen könnte man wie folgt zusammenfassen: Was den Ruch eines Raubzuges von Gesetzlosen hatte, wurde zum Befreiungsfeldzug im Namen von Gott und König umgemünzt. Geschrieben wurde von den Conquistadoren, um Belohnungen von der Krone zu erlangen und z.T. auch, um den persönlichen Ruhm zu befestigen. Die Tatsache, dass Moctezuma gefangengenommen, erpresst und schließlich vielleicht ermordet wurde, stellten sie so dar, als habe sich Moctezuma in der Gefangenschaft wohlgefühlt, sich freiwillig zum Vasallen des kastilischen Königs erklärt, freiwillig das aztekische Gold hergegeben und als sei er schließlich an einer Wunde gestorben, die ihm die ´rebellischen´ Azteken selbst zugefügt hatten.

Die Conquista war also gut und gerecht, die Indianer waren Barbaren und Opfer Satans, aus dessen Klauen sie – und sei es um den Preis ihrer Kultur oder gar ihres Lebens – errettet werden mussten.

 Sahagún hingegen gesteht zwar ein, dass die Conquistadoren grausame Verbrechen begingen, doch entschuldigt er diese nicht nur, sondern führt aus, weshalb die Azteken all dies aufgrund ihrer Sünden gegen Gott verdient hatten. Explizit vergleicht Sahagún die Azteken mit den Zeloten der Zeit des Vespasian:

„Dieses ganze Werk wird sehr von Nutzen sein, um den Karat [i.e. die Qualität] dieses mexicanischen Volkes kennenzulernen, der noch nicht bekannt war. Denn es kam über sie jene Verdammung, die Jeremias von seiten Gottes über Judea und Jerusalem aussprach. Er sagt im fünften Kapitel: ´Ich werde machen, daß über euch komme und ich werde gegen euch senden ein Volk von sehr weit her, ein sehr widerstandsfähiges und starkes Volk, ein sehr altes Volk und geschickt im Kämpfen, ein Volk, dessen Sprache ihr nicht verstehen werdet und deren Sprechweise ihr nie zuvor gehört habt, alles Volk stark und mutig und überaus mordlüsternd. Dieses Volk wird euch und eure Frauen und Kinder und alles, was ihr besitzt, vernichten, und es wird alle eure Siedlungen und Häuser zerstören.´ Dies ist den Indianern buchstäblich mit den Spaniern widerfahren.“[44]

So, wie die Berichte der Conquistadoren die Eroberung gegenüber dem Kaiser rechtfertigen sollten, sollte die Geschichte des Franziskaners Sahagún die Eroberung den Besiegten erklären – und zwar sowohl ihre eigenen Beobachtungen und Deutungen aufgreifend als auch und vor allem im Sinne der christlichen Heilsgeschichte.

Was die verschiedenen Indianer hingegen beim Treffen auf die Spanier tatsächlich über diese dachten oder möglicherweise auch schon über sie wussten, wird wohl immer unklar bleiben.

 

Anmerkungen

[1] Vgl. (Cortés, Hernán:): Carta de Veracruz, Cartas de Relación, hrsg. von Ángel Delgado Gómez, Madrid 1993, 136ff.

[2] Cortés: Segunda relación 1993, 291 u. vgl. auch Quinta relación, ebd., 591.

[3] Vgl. Códice Azcatítlan, hrsg. von der Société des Américanistes, Paris 1949, XXIII u. Gerhard, Peter: „A black conquistador in Mexico“, in: HAHR  58 (1978), 451-459. Es handelte sich um Juan Garrido, von dem sogar autobiographische Aussagen erhalten sind. (Vgl. ebd., 452.)

[4] V.a. Hauptmann Rodrigo Rangel.

[5] Historia verdadera de la conquista de la Nueva España, cap. LXXVIII, hrsg. von Carmelo Saenz de Santa María, Madrid 1982, 152.

[6] Ebd., cap. LII, 100.

[7] Ebd., cap. LXXV, 144.

[8] Tapia, Andrés de: Relación, in: Crónicas de la conquista, hrsg. von Agustín Yañez, México 1939, 41-96, hier: 45. Gemäß Cervantes de Salazar war die Fahne aus schwarzem Taft, mit einem roten Kreuz in der Mitte vor blauen und roten Flammen. (Vgl. Cervantes de Salazar, Francisco: Crónica de la Nueva España, lib. II, cap. XXI, hrsg. von Manuel Magallon, Vorw. von Agustín Millares Carlo,  2 Bd.e, Madrid 1971, Bd. 1, 1971, 183.) 

[9] Prien, Hans-Jürgen: „Hernán Cortés´ Rechtfertigung seiner Eroberung Mexikos und der spanischen Conquista Amerikas“, in: ZHF 22/1 (1995), 71-93, hier: 87f. Er stützt sich hierbei auf H. Kraft: „Monogramm Christi“, in: RGG, Bd. 4, 1960, Sp. 1104ff. (toútoo níka - hierdurch siege).

[10] Carta reservada de Hernán Cortés al Emperador Carlos V, in: Documentos cortesianos. 1518-1548, hrsg. von José Luis Martínez, 4 Bd.e, México 21993,  Bd. 1, 1993, 288.

[11] Cortés: Segunda relación 1993, 210. Vgl. auch ebd., 227f.

[12] Vgl. Cortés: Segunda relación 1993, 218.

[13] Vgl. Cortés: Segunda relación 1993, 188.

[14] Martínez, José Luis: Hernán Cortés. Madrid 1992, 338ff.

[15] Vgl. Vázquez de Tapia, Bernardino: Relación de meritos y servicios del conquistador Bernardino Vázquez de Tapia, vecino y regidos de esta gran ciudad de Tenustitlan México, hrsg. von Jorge Gurría Lacroix, México 1953, 42f.

[16] Tapia: Relación 1939, 71f.

[17] Vgl. Aguilar, Francisco de: Relación breve de la conquista de la Nueva España [1560], hrsg. von Jorge Gurría Lacroix, México 1980, 30 u. 34.

[18] Vgl. Ios.: bel. Iud., Buch III, Kap. VII, Josephus, Flavius: Geschichte des Jüdischen Krieges], übersetzt u. mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Heinrich Clementz, Berlin/ Wien 1923, 326. „Schleuderten doch die Maschinen telentschwere Felsstücke [ca. 26 kg], welche zwei Stadien weit und selbst noch weiter flogen“. (Ebd., Buch V, Kap. VI, 506.)

[19] Vgl. Díaz del Castillo: Historia verdadera, cap. CLV, 1982, 407. Cortés war offenbar so ungehalten, dass auch die Belagerten bemerkten: „Und darüber zankten sich (die Spanier).“ (Sahagún, Bernardino de: Einige Kapitel aus dem Geschichtswerk des Fray Bernardino de Sahagun aus dem Aztekischen übersetzt von Eduard Seler, Buch XII, Kap. XXXVIII, hrsg. von Cæcilie Seler-Sachs, Walter Lehmann u. Walter Krickeberg, Stuttgart 1927, 558.)

[20] Auch die Azteken erinnerten sich nur an eine einzige Schleuder. (Vgl. ebd., 558.)

[21] Vgl. Cortés: Tercera relación 1993, 416f.

[22] Vgl. Sahagún: Einige Kapitel, Buch XII, Kap. I, 1927, 453-546.

[23] Selbst wenn sie es wären, würde das auf die folgende Interpretation keinen wesentlichen Einfluss ausüben, denn es geht, wie gesagt, nicht um ereignisgeschichtliche Fakten, sondern um geschichtliche Erzählung.

[24] Vgl. Díaz, Juan: „Itinerario de la armada del Rey Católico a la isla de Yucatán, en la India, en el año 1518, en la que fue por comandante y capitán general Juan de Grijalva“, in: Colección de documentos para la historia de México, hrsg. von García Icazbalceta, Bd. 1, México 1858, 281-308, hier: 302.

[25] Vgl. Rozat Dupeyron, Guy: Indios imaginarios y indios reales en los relatos de la conquista de México. México 1993, 43-61.

[26] *1620, †1700. Er diente über 40 Jahre als Kurator der Kapelle von San José de los Naturales.

[27] Vgl. Vetancurt, Agustín de: Teatro mexicano. Descripción breve de los sucesos ejemplares, históricos y religiosos del Nuevo Mundo de las Indias. & Crónica de la provincia del Santo Evangelio de México. & Menologio franciscano de los varones más señalados, que con sus vidas ejemplares, perfección religiosa, ciencia, predicación evangélica en su vida, ilustraron la provincia del Santo Evangelio de México. México 1971, 3a parte, trat. I, cap. VIII, 1971, 124f.

[28] Ios.: bel. Iud., Buch II, Kap. XXII, 1923, 299.

[29] Ebd., Buch IV, Kap. IV, 415.

[30] Dieses Vorzeichen entspricht dem der Geburt Siamesischer Zwillinge in Mexiko.

[31] „´Eine Stimme über´ bedeutet soviel als ´Wehe!´“ (Anmerkung des Übersetzers H. Clementz, in: Josephus: Jüd. Krieg 1923, 595.)

[32]  Ios.: bel. Iud., Buch VI, Kap. V, 1923, 594ff.

[33] Ebd., Kap. VIII, 472. Die zweite Gruppe Magier schickt er in Kap. XIII, 482. - „Aber sie taugten nichts mehr.“ Stattdessen trafen sie auf den flüchtenden Tezcatlipoca, den Gott, der die Macht gibt und nimmt, d.h. Moctezuma würde seine Macht verlieren. Über magische Formeln, um böse Mächte fremder Reisender zu bannen vgl. Ponce de León, Pedro: Tratado [1569], in: Teogonía e historia de los mexicanos. Tres opusculos del siglo XVI, hrsg. von Ángel María Garibay Kintana, México 1965, 121-132, hier: 131.

[34] Sahagún: Einige Kapitel, Buch XII, Kap. XII, 1927, 481.

[35] Ebd., Kap. IX, 474 u. Rozat Dupeyron: Indios imaginarios 1993, 132.

[36] Offb. 6, 15.

[37] Ebd., Kap. XI, 479. (Eigennamen sind im Orig. gesperrt abgedruckt. Fettgedruckte Hervorhebungen F.H.)

[38] Ebd., Kap. VII, 469f.; vgl. auch Kap. XI, 479.

[39] Vgl. Rozat Dupeyron: Indios imaginarios 1993, 128. Auch die Hunde seien nicht „real“, so Rozat, sondern durch das Bild des unreinen Tiers in der Bibel geprägt. (Vgl. ebd., 178-182.)

[40] Offb. 6, 7. Die ´Neue Welt´ konnte neben Europa, Asien und Afrika damals durchaus als „Viertel der Erde“ gelten.

[41] Sahagún: Einige Kapitel, Buch XII, Kap. III, 1927, 460.

[42] Mythisches „Land der schwarzen und roten Farbe“, Ort der Weisheit im Osten.

[43] Historia general de las cosas de Nueva España (versión íntegra del texto castellano del manuscrito conocido como Códice florentino), lib. I, ap., hrsg. von Alfredo López Austin u. Josefina García Quintana, 3 Bd.e, México 2000, Bd. 1, 2000, 121.

[44] Sahagún: Historia general, pról., Bd. 1, 2000, 62f.