Hernán Cortés - ein Nachruf

 

 

Felix Hinz

 

1. Januar 2010

Berichte über Hernán Cortés

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Warum diese Seite über Hernán Cortés und seine Welt? Warum heute noch die Geschichte "großer Männer"? Warum in unserer heutigen Zeit ausgerechnet die Geschichte eines "menschenverachtenden Indianerschlächters"?

Die Página de relación /Berichte über Hernán Cortés gibt es seit 1998, ist damit schon mehr als eine kurze Laune des Internets, und somit sind Antworten auf diese berechtigten Fragen endlich angezeigt. Das Thema "Cortés" ist, wie man den in regelmäßigen Abständen erscheinenden Biographien zu ihm entnehmen kann, ein evergreen unter den historischen Stoffen. Das liegt zweifellos an seiner spannenden Lebensgeschichte, vor allem natürlich der geradezu dramatischen Eroberung Mexikos. Auch das Moment des Exotischen mag aus europäischer Perspektive eine nicht unwesentliche Rolle spielen, und diese Perspektive hat der Geschichte nun einmal ihren unverkennbaren Stempel aufgedrückt, da es eine ausschließlich indianische Version der Eroberung nicht gibt. (Alle, die das Gegenteil behaupten, beachten nicht die europäischen Einflüsse in den entweder teilweise oder auch nur angeblich "indianischen" Quellen.)

Cortés ist historisch betrachtet auch deshalb bedeutsam, weil er in besonderem Maße nicht nur den Zusammenprall zweier äußerst fremder Kulturwelten markiert, sondern ebenso die Übergangsphase zwischen Mittelalter und Neuzeit. Obwohl selbst stark von spanischer Volksfrömmigkeit und christlichem Sendungsbewusstsein geprägt, war für ihn doch klar, dass die spanischen Entdeckungen die Welt kleiner gemacht hatten: Die Einheit der ("Alten") Welt war auseinander gebrochen. Denn wie war das Vorhandensein der "Neuen" Welt mit der Bibel zu erklären? Und wenn die Azteken nun nie von Jesus Christus gehört hatten - war dann Christus auch für sie am Kreuz gestorben und hatte auch sie erlöst? Stammten die Indianer überhaupt von Adam und Eva ab, waren sie also Menschen, mit denen man in irgendeiner Form verwandt war? Oder handelte es sich hier um eine "Ausgeburt Satans"?

Zu Recht ist Cortés eine besonders ausgeprägte mentale Antenne für die Strömungen seiner Zeit bescheinigt worden (J. H. Elliott), und er hat diese Zeit mitgeprägt. Ja, er hat seinen Vorgesetzten Diego Velázquez verraten, er hat in Mexiko einen Krieg vom Zaun gebrochen, in dem viele Tausend Menschen den Tod fanden, er hat vielleicht eigenhändig seine Ehefrau erwürgt (von Ehebrüchen ganz zu schweigen), hat sicherlich Cuauhtémoc und möglicherweise auch Motecuhzoma ermorden lassen, er ist sicherlich für den partiellen Untergang der aztekischen Kultur mit verantwortlich. Ja, er hat unwiederbringliche Kunstschätze eingeschmolzen und die damals vielleicht größte und prächtigste Stadt der Welt - Tenochtitlán - dem Erdboden gleichgemacht. Aber Cortés war mehr als ein Francisco Pizarro, mit dem er über seine Mutter verwandt war. Cortés war wie dieser außergewöhnlich mutig und zäh, doch darüber hinaus auch klug und er hatte weitreichende Pläne. Gold war für ihn nicht Zweck, sondern Mittel. Im Grunde ein Prototyp des Principe von Machiavelli ging es ihm um Macht zur Gestaltung, was ihn moralisch nicht entschuldigt. Doch das ist es, was ihn in unseren Augen auch interessant macht.

Cortés war nach der Eroberung Mexikos und seiner märchenhaften Entlohnung durch Kaiser Karl V. mit dem marquesado del Valle de Oaxaca theoretisch (abgesehen vom Kaiser selbst) der reichste Mensch der spanischen Welt. Doch all das bedeutete ihm nur insofern etwas, als dass ihm dies neue Unternehmungen ermöglichte. Kaum dass Tenochtitlán zerstört war, ließ er es mit einfachen Mitteln zwar aber nach eigenen Vorstellungen und in ganz großem Maßstab neu errichten. Der heutige Stadtplatz von Mexiko, der Zócalo, geht auf seine Abmessungen zurück. Rastlos ließ er nach seinen Vorbildern Caesar und Alexander Städte gründen, Häfen auskundschaften, Minen anlegen und Wege erkunden. Er schrieb lange Berichtsbriefe, die cartas de relación, über seine Taten und ließ es sich nicht nehmen, persönlich in Honduras nach der vermeintlichen Durchfahrt zu suchen, die den Seeweg nach China bedeutet hätte, das er stets als Fernziel anvisierte. Seine lange Abwesenheit von Mexiko kostete ihn zu seinem Schmerz die Statthalterschaft, die er Zeit seines Lebens zurückzuerlangen trachtete. Doch auch ohne politische Macht gab er sein Vermögen in Expeditionen entlang der nordamerikanischen Pazifikküste aus, ohne dort die Grundlage für eine neue politisch gewichtige Herrschaft zu finden. Er begleitete den Kaiser sogar nach Afrika und nahm an dessen Algier-Feldzug teil, wobei er übrigens bei einem Schiffsuntergang (wieder abgesehen vom Kaiser selbst) den größten finanziellen Verlust der Flotte hinnehmen musste. Statt sich seiner mexikanischen Güter zu erfreuen und ein sorgloses Leben zu freuen, starb er schließlich in Tuchfühlung zum spanischen Hof, der schon längst nichts mehr von ihm wissen wollte, und war zu diesem Zeitpunkt finanziell in einer solch prekären Situation, dass er zunächst im Grab eines Freundes beigesetzt wurde. Trotz aller seiner Fehler und Schwächen macht ihn dies zu einer tragischen Figur.

Die Geschichte um Cortés herum ist natürlich noch viel komplexer. Es liegt auf der Hand, dass er Mexiko nicht allein erobert hat, und daher geht es hier auch nicht nur um die Person des Hernán Cortés. Ohne die noch heute rätselhafte Gestalt der Dolmetscherin Marina (Malinche) hätte er es genauso wenig gekonnt wie ohne die europäischen Männer und Frauen, die ihm aus verschiedensten Gründen folgten, ebensowenig auch ohne die Unterstützung einer ganzen Reihe indianischer Staaten, die das Ziel vereinte, die aztekische Macht zu brechen und Tenochtitlán zu plündern. Zur Welt des Cortés gehört genauso die vielschichtige Geschichte Karls V., der ohne Cortés schon unmittelbar nach seiner Kaiserwahl bankrott gewesen wäre. Um die "Geschichte großer Männer" geht es also nicht allein, kann es gar nicht gehen. Es geht um den Beginn einer bedeutsamen lateinamerikanischen Geschichte, um einen höchst interessanten Kulturwandlungsprozess und um die Voraussetzungen für einen habsburgischen Machtbereich, in dem die Sonne nicht unterging.

Die Version der Besiegten steht wie angedeutet aus, doch man muss versuchen, sich ihrer anzunähern, sei es über sorgfältige Quelleninterpretation, sei es über Erschließung archäologische Überreste. Hier besteht trotz bedeutender Erfolge in den vergangenen Jahren noch erheblicher Forschungsbedarf. Wir sind durchweg bemüht, auch diese Perspektive zu berücksichtigen und haben in diesem Bereich durchaus neue Forschungsansätze und -ergebnisse vorzuweisen.

Ein abschließendes Urteil über Hernán Cortés zu fällen, war bereits seinen Zeitgenossen unmöglich, die ihn teils als neuen Moses feierten, teils in der tiefsten Hölle schmoren sehen wollten. Wie auch immer man ihn bewertet, muss man doch sehen, dass er nicht nur das heutige Mexiko gegründet, sondern die Weichen für die Entwicklung ganz Spanisch-Amerikas gestellt hat und in herausragender Weise die Geburt des neuzeitlichen Renaissancemenschen versinnbildlicht: eines Menschen, dem ein gesicherter Lebensunterhalt und geordnete Verhältnisse nichts bedeuten, der sein Schicksal stattdessen in die eigene Hand nimmt und alles riskiert, um etwas Großes Gestalten zu können.

Obwohl die Geschichte des Cortés schon oft geschrieben wurde, kann sie naturgemäß nicht endgültig sein. Im Prinzip wissen wir nur sehr wenige Fakten über den tatsächlichen Verlauf der Eroberung Mexikos. Und jede Zeit stellt, ganz abgesehen von unterschiedlichen nationalen Sichtweisen und politischen Interessen, neue Fragen an die Geschichte. Insofern ist Geschichte, auch wenn sie erzählerisch einen Anfang, einen Spannungsbogen mit Höhepunkt, retardierendem Moment und Katastrophe befolgt, doch immer nur Stückwerk. Stückwerk wie diese Internetseite, die immer neue Verästelungen und bisweilen vielleicht merkwürdige Blüten treibt. Denn wir, Xavier López Medellín (Mexiko) und Felix Hinz (Deutschland), nutzen die Freiheiten dieses Mediums, das genauso wenig zu kontrollieren ist wie die Karibik des 16. Jahrhunderts, um unsere kleinen Visionen zumindest virtuell zu verwirklichen. Zwar halten wir uns an wissenschaftliche Standards und sind bemüht, das Mosaikbild zu Cortés nach und nach in ausgewogenen Perspektiven zu vervollständigen, aber wir wollen uns andererseits nicht auf pure Wissenschaft festlegen lassen und nehmen uns die Freiheit, hier und da auch einmal un poco loco zu sein. Denn ohne einen kleinen Schuss Wahnsinn à la Don Quijote gibt es keinen Fortschritt auf der Welt und wäre diese auch höchst langweilig.

Dankenswerter Weise sind wir nicht allein. Wer uns wie Dr. Esteban Mira Caballos aus Spanien, Dr. Alejandro Hartmann aus Kuba, Dr. Moisés Morales Suárez und Dr. Xavier A. López de la Peña aus Mexiko oder Dr. Jelle Haemers aus Belgien in unserem Anliegen mit Beiträgen, Fotos, Filmen oder Hinweisen unterstützen möchte, ist herzlich eingeladen! Je vielfältiger eine Geschichte dargeboten wird, desto eher kann man sich ein objektives Urteil über sie bilden. Es mag sein, dass auf einer dem hypertext Tribut zollenden Internetseite der "rote Faden" bzw. der "Sinn der Geschichte" verloren geht. Aber wer sagt denn, dass die Geschichte an sich (gibt es die?) einen Sinn hat? - Möge sich jeder Leser bzw. user selbst seinen Sinn daraus finden.