Felix Hinz

'Hispanisierung' in Neu-Spanien 1519-1568.

Transformation kollektiver Identitäten von Mexica, Tlaxkalteken und Spaniern

Dissertationsarbeit, Universität zu Köln - erschienen in: Hamburg, Verlag Dr.  Kovač; 2005 - 3 Bände, 874 Seiten.

       ISBN: 3-8300-2070-8

Hispanisierte Stadträte der Provinz Tlaxcala

Stellt die Conquista Mexikos tatsächlich einen radikalen Bruch in der Lebenswelt der Nahuas dar, oder entspricht diese Interpretation heutigem Unverständnis hinsichtlich der damaligen Transformationsprozesse? Mittlerweile ist die plakative Vorstellung, daß ´die Spanier´ mit militärischer Überlegenheit in Mesoamerika leichte Eroberungen machten und die Kultur ´der Indianer´ völlig zerstörten, von der Forschung bereits erheblich relativiert worden. Die Studien besonders von José Luis Martínez und Juan Miralles Ostos liefern zwar einen guten und aktuellen Überblick über die Conquistageschichte aus der Sicht der Conquistadoren, doch die genannten Autoren sind mit den Nahuakulturen nur bedingt vertraut und vermögen sich daher in die indianische Perspektive genausowenig hineinzudenken wie ihre Vorgänger.

Die neueren Bearbeitungen der unter spanischer Herrschaft verfaßten indianischen Quellen haben deutlich gemacht, daß die Conquista Mexikos vor allem ein Krieg zwischen den Nahua-Volksstämmen war, den Hernán Cortés geschickt zu dirigieren verstanden hatte. Insbesondere die Forschungen von Charles Gibson, Serge Gruzinski, James Lockhart, Andrea Martínez Baracs u.a. haben des weiteren gezeigt, daß die Kulturen dieser Volksstämme in der Zeit nach der Conquista keineswegs komplett, sondern nur partiell ´untergegangen´ waren und betonen stattdessen zahlreiche Kontinuitäten. Sie untersuchen, wie das Leben der betreffenden Nahuas nach der Conquista aussah und welche spanischen Elemente sie übernahmen, d.h. ihr Forschungsansatz ist vornehmlich deskriptiver Art.

Wenig differenziert erscheinen nun aber wiederum ´die Spanier´ in diesen Studien. Sie werden als nicht untereinander differenzierte Initiatoren eines nicht weiter problematisierten ´Hispanisierungsprogrammes´ vorausgesetzt. Was unter ´Hispanisierung´ genau zu verstehen ist, wurde jedoch bisher nicht umfassend definiert. Es fragt sich: Welche Bereiche sollten von ihr betroffen werden und welche nicht? Wie funktionierten diese Transformationen? Wer waren jeweils die Akteure, welches die Zielgruppen? Welche Vorstellungen, Pläne und Absichten hatten diese Akteure, und wie reagierten jene Zielgruppen jeweils darauf? Wie sind die Ergebnisse zu interpretieren?

Es mangelte also bisher an einer Untersuchung, die den zeitlichen Rahmen so wählt, daß der Veränderungsprozeß unter Berücksichtigung des Vorher und Nachher erkennbar wird, die das heutige Wissen über die Nahuakulturen auch auf die Geschichte der Conquista anwendet und die das Reziproke des folgenden Wandels kollektiver Identitäten aufzeigt sowie versucht, diesen Prozeß mit Hilfe von geeigneten Theorieansätzen und Begriffen zu systematisieren. Prof. Dr. Miguel León-Portilla, der mexikanische ´Altmeister´ unter den Historikern, die auf das 16. Jahrhundert Neuspaniens spezialisiert sind, bestärkte den Vf. daher in seinem Vorhaben und nannte es "interesantísimo e importantísimo", den großen Bogen auf dem neuesten Stand der Forschung neu zu spannen.

 

Gewiß wurden Indianerkulturen umgeformt, doch blieben sie hartnäckig indianisch und bleiben es noch immer. Heutzutage verwundert dies nicht mehr, für Europäer des 16. Jahrhunderts aber war es eine unerwartete Erfahrung, die sie nicht zuletzt dazu veranlaßte, die eigene Identität zu relativieren, da neben ihre mittelalterlich-universalistische Welt eine Neue Welt getreten war, auf die ihre bis dahin für allgemeingültig gehaltenen Konzepte nicht paßten. Aus diesem Grund ist die Frage, um die es in diesem Dissertationsprojekt geht, nicht nur lokal- oder ethnogeschichtlich, sondern auch oder sogar vor allem ideengeschichtlich. Die Erkenntnis, daß der Transformationsprozeß der vorspanischen Nahuakulturen keine tabula rasa zum Einpflanzen des Hispanischen, sondern die Basis für eine andere und neue kulturelle Wirklichkeit schuf, bedarf einer exemplarischen Präzisierung, wenn tatsächlich Transformationsmechanismen aufgezeigt werden sollen. Es gilt daher, hinsichtlich der Akteur- und Zielgruppen einen Focus einzustellen, der für Details pointiert und für übertragbare Regeln allgemein genug ist. Um herausarbeiten zu können, daß die Zielgruppe der ´Nahuas´ alles andere als homogen war und also Hispanisierungsversuche unterschiedlich aufgenommen wurden, behandelt die Studie zwei indianische Gruppen des Zentralen Hochlands in Mexiko, die genug Gemeinsamkeiten hatten, um miteinander verglichen werden zu können, andererseits jedoch entscheidende Unterschiede aufwiesen: Es sind dies die (einzeln bereits mehrfach untersuchten) Nahua-Volksstämme der Tlaxkalteken und der Mexica [Azteken], die man pauschal als ´Gewinner´ und als ´Verlierer´ der Conquista Mexikos zu bezeichnen geneigt ist. Bei derartigen Verortungen ist aber auf unterschiedliche Entwicklungen selbst innerhalb dieser Gruppen - der Oberschichten und der Unterschichten etwa - zu achten sowie auf den bisweilen fundamentalen Unterschied zwischen dem theoretischen Anspruch, der aus Quellen wie offiziellen Anordnungen, Privilegien oder Streitschriften hervorgeht, und dem, was in der Praxis geschah. Auf der anderen Seite muß auch die in bezug auf Meinungen und Rollen hinsichtlich der Conquista äußerst heterogene Gruppe der ´Spanier´ in sinnvolle Untergruppen eingeteilt werden. Es bedarf einer kritischen Hinterfragung, was es damals hieß, dort ´spanisch´ zu sein, wo es sonst niemand war, und was Spanisch-Sein vor und nach der Conquista bedeutete. Zu beachten ist insbesondere, daß die Missionare, die den gewichtigsten Einfluß auf die Transformationen der kollektiven Identitäten von Mexica und Tlaxkalteken hatten, nur mit Einschränkungen als ´Spanier´ gelten konnten. - Aus diesem Grund geht die Untersuchung von den drei Akteur-Ebenen ´Spanier´ (einerseits ´Krone´, andererseits ´Conquistadoren´ bzw. ´encomenderos´), ´Kirche´ (einerseits ´Ordensgeistliche´, andererseits ´Weltgeistliche´ und ´Episkopat´) und ´Indianer´ (einerseits ´Mexica´, andererseits ´Tlaxkalteken´) aus.

Behandelt werden hierbei die Jahre 1519-1568, jener Zeitraum also, in dem die Weichenstellungen für die weitere historische Entwicklung Mexikos und (da Nueva España Vorbildcharakter für die Organisation der kastilischen Herrschaft auf dem übrigen amerikanischen Kontinent haben sollte) für ganz Las Indias getroffen wurden. 1568, das Jahr der Junta Magna, markiert mit den damals erlassenen Gesetzen hinsichtlich der Indianerpolitik das Ende der Experimentierphase auf dem Gebiet der Hispanisierung und stellt daher eine sinnvolle zeitliche Begrenzung der Studie dar.

 

Auf eine ausführliche Quellendiskussion wird eingangs verzichtet, um das Pferd nicht vom Schwanz aufzuzäumen. Die Ereignisgeschichte geht der erzählten Geschichte voraus, und da es bei der Frage nach Identitätswandlungen immer auch um die Konstruktion von ´Wirklichkeiten´ geht, läßt sich in dieser Reihenfolge der Darstellung der Erfindungsprozeß historischer ´Wahrheiten´ besser erläutern - und vor dem Hintergrund der Ereignisgeschichte erklären.

Der eigentlichen Untersuchung ist ein Theoriekapitel vorangestellt, welches das Instrumentarium vorstellt, auf das im folgenden Bezug genommen wird. Auf diese Weise sollen einerseits anthropologische Prämissen und grundsätzliche Betrachtungen zum Begriff der kollektiven Identität dargelegt und soll andererseits vermieden werden, die eigentliche Untersuchung wiederholt durch theoretische Erklärungen unterbrechen zu müssen. Bei dieser Gelegenheit wurden die z.T. recht unscharfen Theorieansätze von Jan und Aleida Assmann, Maurice Halbwachs, J.R. Searle, Bernhard Giesen u.a. für die Zwecke der Studie etwas geschärft und zueinander in Beziehung gesetzt. Es handelt sich nicht um ein angeklebtes ´Alibikapitel´, das dem Projekt den Anschein von Modernität geben soll. Vielmehr ist die Modewelle zur ´kollektiven Identität´ schon vor einigen Jahren abgeklungen, so daß man sich eher rechtfertigen muß, das Thema erneut aufzugreifen.

Dem Theoriekapitel folgen drei Kapitel, die die ´Ausgangsidentitäten´ der Hauptakteure definieren, an denen die in der Folge festgestellten Transformationen gemessen werden. Nachdem die kollektiven Identitäten der vorspanischen Mexica und Tlaxkalteken untersucht wurden, geht es um die komplexen Fragen, inwiefern man im Jahr 1519 bereits von ´Spanien´ sprechen kann und inwieweit sich die Conquistadoren unter Hernán Cortés als ´Spanier´ definierten.

Das fünfte Kapitel behandelt die Conquista Mexikos im Hinblick auf die Frage, welche Konzepte vom ´Spanisch-Sein´ die Conquistadoren in bezug auf sich selbst sowie hinsichtlich einer zivilisatorischen Sendung während der Eroberung entwickelten. Diese Prozesse werden vor dem Hintergrund der bisherigen Hispanisierungsprojekte im Las Indias der karibischen Etappe interpretiert. Das Wechselspiel zwischen Selbstbild und Fremdwahrnehmung wird anhand von Fällen, in denen Conquistadoren sich in Mexiko indianisierten, zusätzlich verdeutlicht.

Der ´den Indianern´ oft pauschal unterstellte ´Kulturschock´ bedarf einer ausführlichen korrigierenden Untersuchung, weshalb ihm das gesamte sechste Kapitel gewidmet ist. Es wird gezeigt, daß einerseits auch bei den Conquistadoren gewisse Schockphänomene zu beobachten sind (Noche Triste), daß andererseits die Tlaxkalteken allerdings keinen Schock erlitten, sondern sich bald ebenfalls als ´Conquistadoren´ fühlten, und daß man bei den Mexica hingegen allenfalls von einem Verlusttrauma sprechen darf. Noch während der Conquista bewiesen die verschiedenen Nahuavölker, daß sie die Conquistadoren keineswegs als ´Götter´ betrachteten und es schnell verstanden, sich Spanisches in ihrer eigenen Lebenswelt nutzbar zu machen.

Das siebente Kapitel untersucht den Prozeß der Namensgebung als Entmündigung und Rufbar-Machen bzw. Besitzergreifung des Anderen. Hierbei geht es unter besonderer Berücksichtigung des christlichen Taufritus und spanischer Landnahmerituale um Benennungsstrategien der Conquistadoren sowohl in bezug auf Personen als auch auf Geographisches.

Das achte Kapitel behandelt die christliche Bekehrung von Mexica und Tlaxkalteken durch Conquistadoren, Franziskaner und Weltgeistliche. Die Evangelisierung begann unmittelbar nach der Conquista und galt den Spaniern als unabdingbarer Bestandteil jeglicher ´Menschbildung´ und Zivilisierung bzw. Hispanisierung. Die kollektiven Identitäten der genannten Missionsgruppen werden eingehend erläutert und insbesondere die noch immer weitverbreitete Annahme korrigiert, daß die Franziskaner stark vom Joachitismus geprägt gewesen seien und ihr Handeln sich daraus erkläre. Es wird gezeigt, mit welchen Konzepten sie nach Neu-Spanien kamen, welche Maßnahmen sie ergriffen und weshalb ihre Pläne nicht funktioniern konnten. Zudem wird betont, daß Sie an einer Hispanisierung kein Interesse hatten, sondern vielmehr eine franziskanisch-indianische Kirche zu errichten strebten.

Das neunte Kapitel handelt ausführlich von der sozio-politischen Hispanisierung der Mexica und Tlaxkalteken. Zwar wird die ältere Forschung bestätigt, daß die Tlaxkalteken zunächst als Gewinner, die Mexica jedoch als Verlierer der Conquista gelten konnten, doch wird gezeigt, daß diese Unterscheidung gegen Ende des Untersuchungszeitraumes bereits weitgehend bedeutungslos geworden ist. Das Scheitern des franziskanischen Colegio de Santa Cruz von Tlatelolco, in dem indianische Priester und politische Führungskräfte nach spanisch-christlichen Vorstellungen ausgebildet werden sollten, war gescheitert und verhinderte, daß Mexica oder Tlaxkalteken als Gleichberechtigte anerkannt wurden.

Das zehnte Kapitel behandelt die ökonomisch-biologischen Veränderungen, die die Spanier in Mexiko vornahmen, und die Auswirkungen derselben auf die Gruppenpsychologien und Lebensgewohnheiten der Mexica und Tlaxkalteken.

Die letzten beiden Kapitel sollen den Transformationsprozeß anhand zweier einprägsamer Beispiele vom Wandel der assmannschen ´Geformtheit´ des kulturellen Gedächtnisses illustrieren. Das erste dieser Beispiele ist die städtebauliche und architektonische Geformtheit. Die Nahuawelt war vor der Eroberung eine äußerst streng organisierte, was sich anhand eines komplexen Netzes von Sichtlinien verschiedener Heiligtümer aufeinander, bestimmter Ausrichtungen derselben und streng geometrischer Stadtzentren ablesen läßt. Die Spanier kamen mit hierzu z.T. inkompatiblen Stadtkonzepten und (zer-) störten bewußt oder unbewußt die bestehenden Strukturen. Auf der anderen Seite unternahmen Mexica und Tlaxkalteken verschiedene erfolgreiche Versuche, bestimmte Strukturen in getarnter Form zu erhalten. Fruchtbar ist hier die Untersuchung, inwiefern sich die Tlaxkalteken nach der Conquista bei dem Bau ihrer neuen Stadt Tlaxcala am spanischen Tenochtitlán-México orientierten und welchen Einfluß dies auf ihr Selbstverständnis hatte.

Das zweite Beispiel, das auch gewissermaßen die Quellendiskussion nachliefert, besteht in der Historiographie von 1519-1568 über die Eroberung Mexikos. Dabei ist die Aufmerksamkeit der Vergleichbarkeit und Effektivität halber auf folgende inhaltliche Kernaspekte gerichtet: auf (1) die Sicht des Selbst und (2) des jeweils Anderen, auf (3) die Bedeutung von Vorzeichen, (4) die Entwicklung der Legende vom wiederkehrenden Fürsten [Quetzalcóatl], (5) die Unterwerfung der Tlaxkalteken bzw. Mexica und schließlich (6) auf die Beurteilung Moctezumas und seiner Todesumstände. Es wird herausgearbeitet, inwiefern der Quetzalcóatl-Mythos eine Geschichtskonstruktion war und wem sie weshalb nützte, inwiefern sich die spanische Identität in der Konfrontation der national-humanistischen Variante eines López de Gómara und eines Fernández de Oviedo mit der ´Schwarzen Legende´ des Fray Bartolomé de Las Casas schärfte, und daß die Tlaxkalteken, wie bereits auch bei städtebaulichen Maßnahmen, bemerkenswerte Tendenzen von Selbsthispanisierung erkennen ließen. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse vorangehender Kapitel stellt sich u.a. heraus, daß López de Gómara keineswegs, wie ihm stets unkritisch unterstellt wird, im Sinne der Conquistadoren schrieb und daß die Schriften Fray Bernardino de Sahagúns und seiner Mitarbeiter als franziskanische Propagandaschriften anzusprechen sind, die sich zwar als indianisch ausgeben, aber keineswegs als ´indianisch´ oder auch nur ´pro-indianisch´ gelten können. Diese Interpretation wiederum birgt erst den Schlüssel zum Verständnis der Conquista, der den einschlägigen Monographien zum Thema bisher fehlt.

Im Schlußkapitel werden die gesammelten Einzelergebnisse zusammengestellt und zueinander in Beziehung gesetzt. Im Hinblick auf allgemeine und theoretische Erkenntnisse ergibt es sich, daß erfolgreiche Transformationen kultureller Identitäten nur durch Inkulturation funktionieren. Wenn ein Identitätswandel gewaltsam zu erzwingen versucht wird, ist das Ergebnis allenfalls ein Stören der Kommunikation innerhalb der Erzählfamilie bzw. des kollektiven Gedächtnisses beim Rekonstruktionsprozeß der bedrohten Identität und ein Abdrängen derselben von der sichtbaren Oberfläche.

Die Hispanisierung der Mexica und Tlaxkalteken, so die konkreten, praktischen Ergebnisse, erfolgte lediglich im Rahmen einer artifiziellen, vereinfachten, idealisierten und ideologisch motivierten ´Eroberungskultur´, die jegliche Spezialisierung und zu Machtzwecken verwendbares Wissen wie z.B. profunde Bibelkenntnisse oder spanische Waffentechnik ausschloß. Dies galt anfangs weniger, schließlich jedoch gleichermaßen für die Tlaxkalteken. Das Problem des Wandels lag nicht darin, daß die Nahuas spanisch-christliche Elemente nicht angenommen hätten, sondern darin, daß sie dafür eigene identitätskonkrete Elemente aufgeben sollten. Die Folge einer unzureichenden Ersetzung verbotener traditioneller durch spanische Elemente war ein Gefühl des Identitätsverlustes und der Unsicherheit, das von den Nahuas mit dem Begriff ´nepantla´ umschrieben wurde, was bedeutet, daß man ´in der Mitte´ sei, also gewissermaßen zwischen die Stühle geraten war. So war ihnen die Ausübung ihrer traditionellen Religion verboten, doch die christliche befriedigte beispielsweise nicht ihr Bedürfnis nach landwirtschaftlichen Fruchtbarkeitsriten, die ihre Existenz sichern sollten. Treffender als der Begriff des ´Kulturschocks´ ist daher jeweils die Bezeichnung ´Verlusttrauma´. Die Mexica erlitten ein solches umfassend durch die Zerstörung ihrer traditionellen, städtebaulich-architektonisch sorgfältig ausgestalteten und religiös tief durchdrungenen Lebenswelt, die Tlaxkalteken etwas später vor allem durch die von Epidemien verursachte demographische Katastrophe, die ihr Sozialgefüge und die Macht der Fürstenhäuser entscheidend schwächte.

Es stellt sich heraus, daß für alle relevanten spanischen Gruppen (Krone, Conquistadoren/ encomenderos, Franziskaner) Hispanisierungsprojekte in erster Linie als Herrschaftslegitimation dienten, und daß eine vollständige Angleichung und Gleichberechtigung von Nahuas nach dem Scheitern des Colegio de Santa Cruz nicht mehr angestrebt wurde. ´Indios´, so kann man als abschließendes Fazit der Studie formulieren, sind demnach nicht die Ureinwohner Amerikas, sondern das diskriminierte Produkt normierender kollektiver Identität nach Maßstäben der aus spanischer Sicht (aufgrund verschiedener Machtinteressen teilweise absichtlich) nur partiell erfolgreichen Hispanisierung.

Zusammengefaßt besteht der Neuansatz der von Prof. Dr. Hans-Jürgen Prien und Prof. Dr. Michael Zeuske mit summa cum laude bewerteten Arbeit in doppelter Form: Zum einen wird der Prozeß der ´Hispanisierung´ in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts anhand der Theorie von kollektiver Identität umfassend untersucht, und zum anderen werden die anfangs gegensätzlichen Entwicklungen von Mexica und Tlaxkalteken in dieser Phase und in diesem Prozeß miteinander verglichen. Die Untersuchung kann wegen ihres breiten Ansatzes und der oft behandelten Einzelthemen mit ihren 874 Seiten und tabellarischen Übersichten einen gewissen Handbuchcharakter gewinnen und ebenfalls als technisches Vorbild für ähnliche Studien zu Transformationen kollektiver Identitäten dienen.

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